Der Bayer Edmund Stoiber und der Böhme Vladimir Spidla
haben eines gemeinsam: Sie wollen Regierungschef ihres Landes werden.
Dass sich der christlich-soziale Politiker aus München und der Prager
Sozialdemokrat gegenseitig helfen würden, war nicht zu erwarten gewesen.
Und dennoch ist es nun eingetreten. Zum Wohlgefallen ihrer Anhänger
greifen die beiden Politiker einander scharf an. Wieviel Stimmen dieser
grenzüberschreitende Wahlkampf bringt, ist schwer zu ermessen. Messbar
aber bleibt der Schaden für die deutsch-tschechischen Beziehungen. Er
ist immens.
Die derzeitige Lage am deutsch-tschechischen Graben lässt sich knapp
so darstellen: Spidla preist die Vertreibung von drei Millionen
Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als Quell des Friedens und
verteidigt beherzt die dazu gehörenden Dekrete des damaligen Präsidenten
Edvard Benes. Stoiber verlangt deren Aufhebung und stellt Tschechiens
EU- Tauglichkeit in Frage. Wie jedes Jahr sprach Stoiber auf dem
Sudetendeutschen Tag. Und weil dies eine Traditionsveranstaltung ist,
tat er dies gewohnt scharf. Die Kreide des Kanzlerkandidaten ließ er zu
Haus.
Die für Prag wirklich schlechte Nachricht aus Nürnberg verkündete
allerdings nicht Stoiber, sondern ein Sozialdemokrat: Innenminister Otto
Schily. Erstmals forderte ein Mitglied der rot-grünen Bundesregierung
die Aufhebung der Benes-Dekrete. Damit ist nach vier Jahren
linksorientierter Regierungen in Berlin und Prag ein Grundpfeiler
deutsch-tschechischer Politik zerbröselt. Auf der Basis der 1997 noch
von Helmut Kohl und Vaclav Klaus unterzeichneten Erklärung hatten die
Sozialdemokraten hüben und drüben das Thema Benes-Dekrete eigentlich auf
sich beruhen lassen wollen.
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Das Scheitern dieser Politik hat viele Gründe. Der wohl
wichtigste heißt Milos Zeman. Der scheidende tschechische Ministerpräsident hat mit
seinen zynischen Worten über sudetendeutsche Vaterlandsverräter, die
durch Vertreibung der verdienten Todesstrafe entgangen seien, wie kein
zweiter die Vergangenheit zu einem Thema der Gegenwart und zu einem
Problem für die Zukunft gemacht. Nebenbei disqualifizierte er sich als
Politiker in der internationalen Arena – so sehr, dass es eigentlich
niemanden mehr überraschte, als er nun im früheren Konzentrationslager
Theresienstadt verkündete, die Deutschen hätten doch ihren Willen
bekommen, nämlich heimzukehren ins Reich.
Zemans nahender Abschied aus der Politik wird den deutsch-
tschechischen Streit um die Vergangenheit nicht beenden. Sein
Stellvertreter und möglicher Nachfolger Spidla vertritt mit anderen Worten dieselbe Position. Zudem hat das Prager
Abgeordnetenhaus in einer Resolution eine Diskussion über die
Benes-Dekrete abgelehnt – einstimmig. Auf der anderen Seite bildet sich
in Deutschland neuerdings eine große Koalition für die Aufhebung der
Dekrete. Für die deutsch-tschechischen Beziehungen ist das ein Rückfall.
In unversöhnlichen Blöcken scheint sich die Politik in beiden Ländern
gegenüber zu stehen.
Es ist dies auch eine Folge des Doppel-Wahlkampfes. Das ist
bedenklich. Noch bedenklicher aber ist, dass das Thema überhaupt zum
Wahlkampf taugt. Um dies in Zukunft zu verhindern, werden Deutsche und
Tschechen zum Grundkonflikt zurückkehren müssen. Aus deutscher Sicht war
die Vertreibung Unrecht – wenn auch zu sehen im Kontext mit den
Verbrechen der Deutschen und der dadurch ausgelösten Katastrophe. Aus
offizieller
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tschechischer Perspektive war der „Abschub“ eine Konsequenz aus der Zerstörung der
Tschechoslowakei mit Hilfe der Sudetendeutschen. Zahlreiche tschechische
Intellektuelle können hingegen in kollektiver Vertreibung nichts anderes als
Unrecht sehen.
In langsamen Schritten könnten diese Menschen in Tschechien einen
Bewusstseinswandel herbeiführen. Sie hätten es dabei leichter, müssten
sie nicht ankämpfen gegen ein grenzüberschreitendes Angst-Kartell.
Tschechische Politiker
schüren ein Feuerchen der Furcht vor Rückgabeforderungen der
Vertriebenen, einige sudetendeutsche Funktionäre reichen ihnen dazu die
Streichhölzer. Schily hat in Nürnberg gefordert, im Gegenzug für die
Aufhebung der Benes-Dekrete müssten die Deutschen auf alle
Eigentumsansprüche verzichten. Dafür ist er ausgepfiffen worden. Diese
Pfiffe werden in Tschechien länger nachklingen als in Deutschland. In
Tschechien ist auch mehr im Bewusstsein, dass die Wiedererlangung alten
Eigentums immer noch Satzungsziel der Landsmannschaft ist.
Juristisch mag der Vorschlag Schilys auf beiden Seiten Probleme
aufwerfen, moralisch hat er den richtigen Weg gewiesen. Die meisten
Sudetendeutschen wollen von den Tschechen nichts außer der Anerkennung
erlittenen Leides. Dazu gehört auch, von tschechischer Seite einige der
vielen Benes-Dekrete als Unrecht zu benennen. Dieses Ziel hat es
freilich an sich, mit jeder scharfen Forderung in weitere Ferne zu
rücken. Wenn Stoiber Prags EU- Tauglichkeit in Frage stellt, so tut er
also weder den Tschechen noch den Sudetendeutschen einen Gefallen. Im
Falle eines Wahlsieges wolle er sich der Beziehungen zu Prag besonders
widmen,
kündigte Stoiber in Nürnberg an. Dort kam das an – als Drohung. |