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MEINUNGSSEITE   Dienstag, 21. Mai 2002 Leitartikel Seite 4

Deutsch-tschechischer Graben

VON DANIEL BRÖSSLER

Der Bayer Edmund Stoiber und der Böhme Vladimir Spidla haben eines gemeinsam: Sie wollen Regierungschef ihres Landes werden. Dass sich der christlich-soziale Politiker aus München und der Prager Sozialdemokrat gegenseitig helfen würden, war nicht zu erwarten gewesen. Und dennoch ist es nun eingetreten. Zum Wohlgefallen ihrer Anhänger greifen die beiden Politiker einander scharf an. Wieviel Stimmen dieser grenzüberschreitende Wahlkampf bringt, ist schwer zu ermessen. Messbar aber bleibt der Schaden für die deutsch-tschechischen Beziehungen. Er ist immens.

Die derzeitige Lage am deutsch-tschechischen Graben lässt sich knapp so darstellen: Spidla preist die Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als Quell des Friedens und verteidigt beherzt die dazu gehörenden Dekrete des damaligen Präsidenten Edvard Benes. Stoiber verlangt deren Aufhebung und stellt Tschechiens EU- Tauglichkeit in Frage. Wie jedes Jahr sprach Stoiber auf dem Sudetendeutschen Tag. Und weil dies eine Traditionsveranstaltung ist, tat er dies gewohnt scharf. Die Kreide des Kanzlerkandidaten ließ er zu Haus.

Die für Prag wirklich schlechte Nachricht aus Nürnberg verkündete allerdings nicht Stoiber, sondern ein Sozialdemokrat: Innenminister Otto Schily. Erstmals forderte ein Mitglied der rot-grünen Bundesregierung die Aufhebung der Benes-Dekrete. Damit ist nach vier Jahren linksorientierter Regierungen in Berlin und Prag ein Grundpfeiler deutsch-tschechischer Politik zerbröselt. Auf der Basis der 1997 noch von Helmut Kohl und Vaclav Klaus unterzeichneten Erklärung hatten die Sozialdemokraten hüben und drüben das Thema Benes-Dekrete eigentlich auf sich beruhen lassen wollen.

Das Scheitern dieser Politik hat viele Gründe. Der wohl wichtigste heißt Milos Zeman. Der scheidende tschechische Ministerpräsident hat mit seinen zynischen Worten über sudetendeutsche Vaterlandsverräter, die durch Vertreibung der verdienten Todesstrafe entgangen seien, wie kein zweiter die Vergangenheit zu einem Thema der Gegenwart und zu einem Problem für die Zukunft gemacht. Nebenbei disqualifizierte er sich als Politiker in der internationalen Arena – so sehr, dass es eigentlich niemanden mehr überraschte, als er nun im früheren Konzentrationslager Theresienstadt verkündete, die Deutschen hätten doch ihren Willen bekommen, nämlich heimzukehren ins Reich.

Zemans nahender Abschied aus der Politik wird den deutsch- tschechischen Streit um die Vergangenheit nicht beenden. Sein Stellvertreter und möglicher Nachfolger Spidla vertritt mit anderen Worten dieselbe Position. Zudem hat das Prager Abgeordnetenhaus in einer Resolution eine Diskussion über die Benes-Dekrete abgelehnt – einstimmig. Auf der anderen Seite bildet sich in Deutschland neuerdings eine große Koalition für die Aufhebung der Dekrete. Für die deutsch-tschechischen Beziehungen ist das ein Rückfall. In unversöhnlichen Blöcken scheint sich die Politik in beiden Ländern gegenüber zu stehen.

Es ist dies auch eine Folge des Doppel-Wahlkampfes. Das ist bedenklich. Noch bedenklicher aber ist, dass das Thema überhaupt zum Wahlkampf taugt. Um dies in Zukunft zu verhindern, werden Deutsche und Tschechen zum Grundkonflikt zurückkehren müssen. Aus deutscher Sicht war die Vertreibung Unrecht – wenn auch zu sehen im Kontext mit den Verbrechen der Deutschen und der dadurch ausgelösten Katastrophe. Aus offizieller

tschechischer Perspektive war der „Abschub“ eine Konsequenz aus der Zerstörung der Tschechoslowakei mit Hilfe der Sudetendeutschen. Zahlreiche tschechische Intellektuelle können hingegen in kollektiver Vertreibung nichts anderes als Unrecht sehen.

In langsamen Schritten könnten diese Menschen in Tschechien einen Bewusstseinswandel herbeiführen. Sie hätten es dabei leichter, müssten sie nicht ankämpfen gegen ein grenzüberschreitendes Angst-Kartell. Tschechische Politiker schüren ein Feuerchen der Furcht vor Rückgabeforderungen der Vertriebenen, einige sudetendeutsche Funktionäre reichen ihnen dazu die Streichhölzer. Schily hat in Nürnberg gefordert, im Gegenzug für die Aufhebung der Benes-Dekrete müssten die Deutschen auf alle Eigentumsansprüche verzichten. Dafür ist er ausgepfiffen worden. Diese Pfiffe werden in Tschechien länger nachklingen als in Deutschland. In Tschechien ist auch mehr im Bewusstsein, dass die Wiedererlangung alten Eigentums immer noch Satzungsziel der Landsmannschaft ist.

Juristisch mag der Vorschlag Schilys auf beiden Seiten Probleme aufwerfen, moralisch hat er den richtigen Weg gewiesen. Die meisten Sudetendeutschen wollen von den Tschechen nichts außer der Anerkennung erlittenen Leides. Dazu gehört auch, von tschechischer Seite einige der vielen Benes-Dekrete als Unrecht zu benennen. Dieses Ziel hat es freilich an sich, mit jeder scharfen Forderung in weitere Ferne zu rücken. Wenn Stoiber Prags EU- Tauglichkeit in Frage stellt, so tut er also weder den Tschechen noch den Sudetendeutschen einen Gefallen. Im Falle eines Wahlsieges wolle er sich der Beziehungen zu Prag besonders widmen, kündigte Stoiber in Nürnberg an. Dort kam das an – als Drohung.

SZ vom 21.05.2002 - Meinungsseite - SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München

Anmerkung des Homepage-Owners: Ich fühle mich in einer Reihe von sich sogar in der Mehrheit befindenden, ernsthaften Betroffenen sowohl auf Seiten der Vertriebenen (und ihrer Nachkommen) als auch auf Seiten europafreundlicher Tschechen (wie z.B. ihr Präsident Vaclav Havel), die diese alljährlichen populistischen, auf (nationalistische Wechsel-) Wählerstimmen zielenden "Zündeleien" von Stoiber, Zeman & Co. verurteilen; der Wahlerfolg solcher "Zündler" ist es vor allem, der mich politikverdrossen macht - aber es gibt ja auch noch (einige wenige) seriöse Politiker wie Otto Schily oder Vaclav Havel ...

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